Gesuch: Die unbekannte Tochter [geborene Vampirin]
Thal hörte das Kichern der Mädchen im Nachbarschlafsaal, als würden sie direkt neben ihr hocken und ihre kleinen, unwichtigen Geheimnisse genau in ihr Ohr flüstern, statt sich alle Mühe zu geben, dass niemand sie hörte. Obwohl sie nicht mit ihnen im Raum war, hörte Thal an den gedämpften Stimmen und dem Rascheln von Stoff, dass sie sich unter einer Decke zusammengekauert hatten, um die ihrer Meinung nach brisanten Neuigkeiten ihrer Gruppenführerin zu hören. Die kleine Schlange hatte ihren ersten Kuss ergattert und sprach nun darüber, als hätte sie mindestens einen Weg gefunden, den Avada Kedavra rückgängig zu machen. Um Thals Lippen spielte kurz ein herablassendes Lächeln. Kinder!
Aber sie hatte gerade andere Probleme, als Zeuge davon zu sein, wie die Drittklässler sich zu wichtig nahmen.
Thal atmete tief durch - absolut unnötig für eine Vampirin, aber eine beliebte Angewohnheit bei Menschen, die sie so gut wie möglich zu imitieren versuchte - und schloss dann die Augen. Vor ihrem inneren Auge erschien das Bild des Jungen, den sie heute Nachmittag bis auf den letzten Tropfen ausgesaugt hätte, wären da nicht andere Schüler gewesen. Sie sah wieder, wie er sich verlegen am Hinterkopf kratzte und sie reumütig anschaute wie ein kleiner, treudoofer Welpe, der gerade das Lieblingskleidungsstück seiner Herrin beim Spielen zerfetzt hatte. Hatte er aber nicht. Er hatte ihren Stolz zerfetzt, als er sich mit diesem nichtssagenden Drecksstück hatte erwischen lassen, während sie ihm doch eigentlich in den letzten Wochen ihre Aufmerksamkeit geschenkt hatte.
Thal hatte die Zähne fest zusammenbeißen müssen, um ihm nicht einfach an Ort und Stelle die Kehle herauszureißen. In ihren Handinnenflächen glaubte sie jetzt noch ihre Nägel zu spüren, die sie in ihr Fleisch gepresst hatte, um sich zu beherrschen. Als sie jetzt wieder das Lachen der anderen Schüler zu hören glaubte, ballte sie die Hände unwillkürlich wieder zu Fäusten. Egal. Alles egal. Diese Menschen waren unwichtig und ihr Vater hatte ihr beigebracht, wie man mit Verrätern umging.
Thal atmete noch einmal durch und schloss die Augen. Ob der kleine Trottel wohl heute Nacht von ihr oder seine Affäre träumen würde? Egal. Gleich würde Thal es wissen und von was auch immer er jetzt träumte, gleich würde er im schlimmsten Alptraum seines Lebens gefangen sein. Zumindest würde er das denken, bis er das nächste Mal einschlief und sie wieder in seinen Träumen auf ihn warten würde. Jede Nacht würde Thal sich steigern, bis er es vor Angst nicht mehr wagen würde, einfach einzuschlafen. Die Vampirin dachte an den letzten Menschen, den sie auf diese Art in den Wahnsinn getrieben hatte, und gönnte sich ein zufriedenes Lächeln. Ohja, ihr verräterisches kleines Spielzeug würde sich noch wünschen, dass sie ihn an diesem Nachmittag einfach von seinem Leben erlöst hätte.